Der letzte Hafen – ein Schiffsfriedhof in der Bretagne

„Was hast du schon wieder an dieser Bruchbude gefunden?“, fragte mich verzweifelt meine Begleitung, als ich erneut wie angewurzelt stehen blieb und voller Begeisterung mehrere Aufnahmen von einem unscheinbaren Gebäude machte. Die anderen sahen oft nur ein altes Haus vor sich, das eine ordentliche Sanierung dringend gebraucht hätte. Morbide, alte, zerbröselte Fassaden haben mich schon immer durch ihre willkürlichen Farbverflechtungen und Oberflächenstrukturen fasziniert. Für mich sind diese Wandrisse, Farbkleckse und verwitterte Fensterrahmen die reine Poesie der Formen und Farben. Dadurch wird für mich der ewige Kampf der Naturkräfte gegen feste und glatte Elemente und Flächen sichtbar, die der Mensch vor Jahrhunderten aus dem unförmigen Gestein und knorrigen Holz erschaffen hatte. Und seitdem versucht die Natur sie hartnäckig in deren Urzustand zurück zu holen. Dabei entstehen durch Zusammenspiel von Mensch und Natur ganz kreative Meisterwerke, die ich leidenschaftlich sammle.

Als ich von unserer Tante Lore von einem Schifffriedhof in Frankreich hörte, wusste ich, dass wir, sobald wir mit unserem Bus in der Nähe der Bretagne kämen, früher oder später diesen Hafen mit den vielen alten Schiffen besuchen würden.

Und so schräg es auch klingen mag, das Fotoshooting gehörte dort zu meinen persönlichen Highlights der Reise. Dabei sind keine Selfies entstanden. Im Gegenteil, ich fühlte mich bedroht und eingekesselt von all den Selfiestick-Touries, die wie gierige Möwen um mich und die Schiffrümpfe schwärmten, in der Hoffnung, dass ich schnell aus dem Blinkwinkel ihrer Smartphones verschwände. Denn ich stand ewig lang an einer Stelle und rührte mich nicht vom Fleck, bis ich den letzten Winkel jedes Schiffes abgelichtet habe.

Denn diese vergänglichen Farbverläufe, Rost- und Holzverformungen, die ich dort vorgefunden hatte, gehörten zu den schönsten, die ich jemals fotografierte. Die Natur zelebrierte hier ihren Sieg über die langweiligen und eintönigen, glatten und festen Oberflächen so wild und dennoch feinfühlig, das mir beim Knipsen der Atem stockte.

P.S. Man kann es nur auf einem großen Monitor oder als ein Großformatdruck in vollen Zügen genießen, auf einem kleinen Display geht der Zauber leider verloren.